Sehr geehrte Prof. Dr. Günther, Fr. Meyer, Prof. Dr. Kucera, Prof. Dr.-Ing. Petersen und Dr. Boehnke,
wie Sie wissen, kam es am 08. Mai auf dem Gelände der Bremer Universität zu einer Campus-Besetzung durch pro-palästinensische Protestierende. In der Glashalle errichteten dutzende Menschen aus linken, religiösen und hochschulpolitischen Zusammenhängen ein Protestcamp vor dem Hintergrund des sich damals abzeichnenden israelischen Militäreinsatzes in Rafah. Dabei wurden in Wort und Symbolik antisemitische Positionen propagiert und Israel das Existenzrecht abgesprochen.
Sie ließen das Protestcamp räumen, verlautbarten danach in mehreren Statements, dass die Proteste „friedlich“1 verlaufen seien und dass die Solidarität mit den Opfern des Massakers der Hamas nicht als „Billigung“ zu verstehen sei, „nun ebenfalls die Menschenrechte anderer zu bedrohen oder zu verletzen“2. Die Äquidistanz, die daraus spricht, kann im Sinne einer Kritik des Antisemitismus und der größten Bedrohung des jüdischen Staates seit vielen Jahren, nicht unkommentiert bleiben.
In Ihrem Statement wird suggeriert, ohne konkret zu werden, dass Israel intentional die Menschenrechte von Palästinensern verletze. Damit kommen Sie sprachlich dem im Aufruf des Protestcamps verbreiten Mythos vom Genozid an den Palästinensern3 entgegen. Sie relativieren mit dieser Äußerung die am 7. Oktober von einer offen antisemitischen und klerikalfaschistischen Terrororganisation geplanten und durchgeführten Foltermorde, Massenvergewaltigungen und Entführungen, an denen sich im Übrigen nicht wenige ‚zivile‘ Bewohner des Gaza-Streifens beteiligt haben,4 und die letztlich nur durch die israelische Armee gestoppt werden konnten. Dem Krieg gegen die Hamas geht das größte Massaker an Juden seit der Shoa voraus. Festzuhalten ist, dass es sich bei den barbarischen Taten der Hamas um einen Rückfall hinter zivilisatorische Mindeststandards handelt, deren Vernichtungsintention durch die – leider im akademischen Diskurs nicht unübliche – Euphemisierung als „Bedrohung“ oder „Verletzung“ von Menschenrechten zum Verschwinden gebracht wird. Im Gegensatz zu den Terroristen der Hamas, die am 7. Oktober gezielt ganze Familien in israelischen Kibbuzim gefoltert, vergewaltigt, ermordet und dabei ihre Verbrechen öffentlich zelebriert haben, tötet das israelische Militär nicht gezielt Zivilisten, sondern verfolgt seine Kriegsziele, die darin bestehen, die Geiseln zu befreien und ein solches Verbrechen nachhaltig zu verhindern.
Weiter im Statement zitieren Sie aus einer Rede der Rektorin, in der gleichermaßen vor Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus gewarnt wird. Hierbei ist allerdings zu erwähnen, dass ausschließlich Israel das Existenzrecht abgesprochen wird und es proisraelische Organisationen und nicht zuletzt jüdische Menschen sind, die bundesweit an Universitäten bedroht werden. Dass sich an deutschen Universitäten ein vergleichbarer organisierter Hass gegen muslimische Staaten oder Menschen richten würde, entspricht demgegenüber nicht der Realität – dies gilt unabhängig davon, dass sich (neu-)rechte Zusammenhänge oder Einzelpersonen migrationsfeindlich und rassistisch äußern oder Menschen bedrohen. Es ist das erklärte Ziel des islamischen Antisemitismus, Israel von der Landkarte zu tilgen. Entsprechend wurden etwa im Rahmen der Berliner Universitätsbesetzung mit Hamas-Symbolik potenzielle Ziele markiert, während in Europa schon seit Jahren die größte jüdische Auswanderungswelle seit dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen ist.5
Schließlich gelangen Sie zu dem Schluss, dass in der durch „Polarisierungen und Spannungen“ gekennzeichneten Lage an alle „Akteur:innen, die sich aktuell zu Wort gemeldet haben“ appelliert werden müsse, im gemeinsamen Dialog zu bleiben. Gänzlich unerwähnt bleibt hier der offene Antisemitismus des Protestes und der beteiligten Gruppen, den wir deshalb im Folgenden dokumentieren wollen.
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Initiiert wurde das Protestcamp von dem neugegründeten Studenten-Komitee Uni(te) for Palestine und der schon länger bestehenden links-islamischen Gruppe Seeds of Palestine. Unterstützung fanden sie bei dem trotzkistischen Bündnis Klasse gegen Klasse, die ihrerseits ein paar Tage nach dem 7. Oktober die arabischen Freudentänze über das Massaker als nachvollziehbare emotionale Ausbrüche rechtfertigten und in einem antisemitischen Pamphlet vom 24. Oktober 2023 zu dem Schluss gelangten: „Wir sind in der Tat der Ansicht, dass die Hamas im Zusammenhang mit dem permanenten Krieg in Palästina als Kriegspartei und nicht als ‚terroristische Organisation’ betrachtet werden sollte“6. Auch der islamistische Influencer Huseyin Özoguz, der als Propagandist des iranischen Terror-Regimes gilt und sich als muslimischer AFD-Sympathisant inszenierte, um kulturelle Brücken gegen den in Deutschland vorherrschenden „Homo-Kult“ und „zerstörerischen Feminismus“7 zu schlagen, unterstützte das Bremer Protestcamp und veröffentlichte auf seinem YouTube-Kanal ein Interview mit einem am Protestcamp beteiligten Studenten8. Ebenfalls beteiligt war die Bremer Ortsgruppe von Palästina spricht, die mit dem an Björn Höckes ‚Schuldkult‘-Parole erinnernden Slogan „Free Palestine from German Guilt“9 den sogenannten ‚Nakba-Aktionstag‘ bewarb, der eine antisemitische Demonstration in Bremen vorsah, die behördlich verhindert wurde. Der AStA der Universität Bremen, der sich mit den Anliegen des Protestcamps bereits im Vorfeld solidarisierte, reproduzierte im Nachgang der Protestauflösung ein Statement des Muslimischen Hochschulbundes, der der islamistischen Muslimbruderschaft nahesteht10.
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Mitten im Camp hing ein Banner mit der Aufschrift „Stop arming Israel“, untermalt von einem roten Dreieck, das in den letzten Wochen immer wieder für Schlagzeilen sorgte, da es ein Zeichen der Hamas darstellt, das zur antisemitischen Feindmarkierung genutzt wird. So wurde beispielsweise dem Berliner Studenten Lahav Shapira das rote Dreieck gesendet, bevor er von einem muslimischen Mitstudenten krankenhausreif geschlagen wurde11. Die auf dem Banner in der Glashalle implizit erhobene Forderung, den jüdischen Staat dem Terror der Hamas und anderen antisemitischen Organisationen ohne weitere Unterstützung auszusetzen, wird hier also auf der symbolischen Ebene ganz explizit gemacht, wenn die Spitze des Dreiecks direkt auf das Wort Israel zeigt und somit die Vernichtungsdrohung bekräftigt. Es ist eine Drohung an alle jüdischen und Israel nahestehenden Menschen: Sie sollen weder in Israel noch in Westeuropa sicher sein.
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Dass der von Ihnen als „friedlich“ bezeichnete Protest alles andere als harmlos ist, war bereits im Vorfeld klar, da sich die daran beteiligten Parteien ausdrücklich als Teil der global bzw. bundesweit stattfindenden palästinensischen Protestcamps begriffen, die dafür sorgen, dass Juden zum Teil den Campus gar nicht mehr betreten können. Wie man sämtlichen Medienberichten entnehmen konnte, wurden dort ganz selbstverständlich die Parolen „From the River to the Sea“ und „Yallah Intifada“12 gerufen, was nur als Aufruf zur Vernichtung Israels und seiner im Übrigen nicht nur jüdischen Einwohner, die ebenfalls Opfer der antisemitischen Massaker vom 7. Oktober und vergangener Terroranschläge wurden, verstanden werden kann. Der positive Bezug auf die Intifada-Terrorwelle, die über 1100 Menschen das Leben kostete, geht dabei immer wieder Hand in Hand mit physischer Gewalt gegen jüdische und antisemitismuskritische Personen13. Auch in Bremen wurden im Zuge der Uni-Besetzung, in Form von skandierten Parolen, Stickern, Patches oder Flyern antisemitische Inhalte propagiert.
Erklärungsbedürftig bleibt deshalb, weshalb Sie mit den „Akteur:innen, die sich aktuell zu Wort gemeldet haben“ und die Sie als „friedlich“ bezeichnen, im Gespräch bleiben wollen. Die an dem Protest beteiligten Gruppen müssen anhand der durch den Bundestag ratifizierten Antisemitismusdefinition eindeutig als antisemitisch eingestuft werden, ihre Propaganda ist leicht durchschaubar. Die Bedrohungslage für Juden und israelische Einrichtungen hat sich auch in Westeuropa erneut zugespitzt. Die Proteste erfüllen dabei eine Doppelfunktion: Einerseits schüren sie das gesellschaftliche Bedrohungsklima. Andererseits schwingt die Drohung mit, dass selbst der erfolgreiche Exodus nach Israel vor dem Vernichtungsantisemitismus nicht schützen würde.
Ihr Bemühen um Vermittlung und Gespräch halten wir daher für ein fatales Signal an alle Betroffenen. Wir fordern Sie dazu auf, diesen Kurs zu ändern und konsequent gegen Antisemitismus an der Universität Bremen vorzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Bündnis gegen Antisemitismus Bremen
Verweise
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N. N., „Universitätsleitung löst Protestcamp auf, bleibt aber im Dialog mit den Studierenden“. https://uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/universitaetsleitung-loest-protestcamp-auf-bleibt-aber-im-dialog-mit-den-studierenden ↩︎
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N. N., „Universitätsleitung zu den Forderungen des Protestcamps“. https://uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/universitaetsleitung-zu-den-forderungen-des-protestcamps ↩︎
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Uni(te) for Palestine, Instagram-Post vom 08.05.2024. https://instagram.com/p/C6tDdqToZ_5/?img_index=3 ↩︎
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Deborah Danan, „They Are All Hamas“, in: Tablet Mag, 25.01.2024. https://tabletmag.com/sections/israel-middle-east/articles/hamas-palestinians-pogrom-israel ↩︎
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Verschiedene Studien in Deutschland und Europa zeigen ein hohes Auswanderungspotential jüdischer Menschen aus Sicherheitsgründen. Die Zahlen des israelischen Zentralbüros für Statistik belegen, dass davon zunehmend Gebrauch gemacht wird. Vgl. Israel Central Bureau of Statistics, „Table 1 – Immigrants, by period of immigration (1948-2019)“. https://cbs.gov.il/he/mediarelease/doclib/2020/223/21_20_223t1.pdf ↩︎
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Philippe Alcoy, „Bedeutet die Unterstützung des palästinensischen Widerstands die Unterstützung der Strategie und der Methoden der Hamas?“, in: Klasse gegen Klasse, 24.10.2023. https://klassegegenklasse.org/bedeutet-die-unterstuetzung-des-palaestinensischen-widerstands-die-unterstuetzung-der-strategie-und-der-methoden-der-hamas/ ↩︎
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Sebastian Leber, „Dreiste Charmeoffensive: Wie die AfD jetzt Migranten umwirbt“, in: Tagesspiegel, 05.02.2024. https://tagesspiegel.de/gesellschaft/dreiste-charmeoffensive-wie-die-afd-offensiv-migranten-umwirbt-11144638.html ↩︎
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Huseyin Özoguz, „Palästina-Camp an Uni Bremen: Student berichtet exklusiv (nach seiner Festnahme)“, in: Youtube, 08.05.2024. https://youtube.com/watch?v=OQxeRvN9dqA ↩︎
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Palästina Spricht Bremen, Instagram-Post vom 13.05.2023. https://instagram.com/p/CsMPegIsbVT/ ↩︎
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N. N., „Muslimische Hochschulgruppen“, in: Religionsfrei in Bremen, 23.01.2024. https://religionsfreiinbremen.de/2024/01/23/muslimische-hochschulgruppen/ ↩︎
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Mascha Malburg, „Ein Dreieck ist keine Wassermelone“, in: Jüdische Allgemeine, 29.05.2024. https://juedische-allgemeine.de/meinung/ein-dreieck-ist-keine-wassermelone/ ↩︎
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Frederik EIkmanns, „Gaza-Protest erreicht Humboldt-Uni“, in: Taz, 23.05.2024. https://taz.de/Pro-Palaestina-Besetzung-in-Berlin/!6012397/ ↩︎
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N. N., „Pro-Palestinians disrupt professor’s lecture. Brawl at anti-Semitism lecture at Bonn University“, in: General-Anzeiger, 05.06.2024. https://ga.de/ga-english/news/university-of-bonn-brawl-at-anti-semitism-lecture-by-lars-rensmann_aid-113998389 ↩︎